Hier möchte ich euch erzählen, wie ich meine beiden Söhne unter völlig unterschiedlichen Voraussetzungen mit mal mehr, mal weniger Problemen begeistert gestillt habe. Und auch, was mir den Weg bereitet hat an Wissen und Erfahrung um diese Stillzeit auch genießen zu können.
Ich bin Kinderkrankenschwester, und hatte das Glück über 4 Jahre in einer großen Frauenklinik (1200 Geburten in meinem Einstiegsjahr, 1850 Geburten als ich ging) im Kinderzimmer beschäftigt gewesen zu sein. Bei uns gab es noch 2 leitende Schwestern vom alten „Schlag“ (nur das Häubchen fehlte) die über Jahrzehnte unbeeindruckt von Flaschennahrung und Stillgruppen, ihrer Arbeit an Mutter & Brust im Sinne der Babys geleistet haben. Ich durfte bei den beiden Kolleginnen unglaublich viel in der Praxis des Stillens und der Beurteilung der Brust lernen.
Frühzeitiges, regelmäßiges Bedarfs-Anlegen war hier selbstverständlich, sowie das Rooming-in. Es war Anfang der 80er Jahre, als „die sanfte Geburt“ durch die Medien tobte, und sich allmählich der „Stillgeist“ wieder etablierte. Unsere Wöchnerinnen kamen aus einem großen Umkreis, da „meine“ Klinik den entsprechenden Ruf hatte. Wenn ich es so erzähle, klingt es so selbstverständlich. Rooming-in und Stillanleitung sollten heute überall etabliert sein. Damals war es etwas „ganz Besonderes“ für die Eltern, nur für uns Schwestern selbstverständlich.
Ich haben sie kennen gelernt, die Mütter welche völlig unvorbereitet von uns vom Stillen überzeugt werden mussten (meist sehr junge Frauen oder mit einfacher Schulbildung), viele ausländische Mitbürgerinnen, die so ganz eigene Vorstellungen aus ihrer Kultur mitbrachten (Anlegen bei leerer Brust wurde meist kategorisch abgelehnt – die Kinder mussten Nahrung bekommen bis zum Milcheinschuss), und auch die Mütter mit dem „Stillbuch“ auf dem Nachttisch. Das Stillbuch wurde so zur „Bibel“ in den Rooming-in Zimmern. Es wurde „unseren“ Neugeborenen immer häufiger auf Wunsch der Eltern Flüssigkeitszufuhr, geschweige Glucoselösung versagt. Die Angst um die „Nachtflasche“ wurde mit jedem Jahr vehementer, und die Angst vor dem Abstillen, wenn das Baby ein oder zwei Fläschchen bekommt, etablierte sich.
Das selbstverständliche Anleiten zum Stillen wurde schwieriger und komplizierter, immer häufiger trat man uns Kinderschwestern mit Vorbehalten entgegen, und teilweise hatten die Eltern in uns ihr Feindbild gefunden. Vor allem wenn die Geburt nicht so „sanft“ verlaufen ist, wie man es sich erträumt hatte. Wenn eine große Enttäuschung unter der Geburt gelaufen war, Frau nicht ohne Schmerzmittel klar kam als ein Beispiel, entstand ein hoher Erwartungsdruck, dass doch „wenigstens“ das Stillen klappt. Von der Sache her immer verständlich, doch wir Schwestern merkten den Druck der Mutter „perfekt“ zu werden; eine weitere Enttäuschung sich und ihrem Partner ersparen zu wollen…. und auch alles „richtig“ machen zu wollen.
Was lernte ICH daraus
eine gute Still-Information in der Schwangerschaft ist hilfreich für alle; bei der Stillanleitung kann man sich dann auf die Praxis (richtiges Anlegen, Brustpflege, etc.) konzentrieren
- eine gelassene Einstellung zum eigenen Körper – „mein Körper weiß, was wichtig ist“ (auch die Frauen, die nicht anlegen wollten/konnten, bekamen ihren Milcheinschuss)
- eine freundliche, hilfsbereite, entgegenkommende Umgebung durch Hebammen und Schwestern; Fragen und Unsicherheiten sollten ohne Scham vorgetragen werden können – und die Mutter/Eltern sollten auch in ihren Unsicherheiten und Ängsten ernst genommen werden
- Schwangere tun gut daran sich auch mit Alternativen auseinanderzusetzen. Eine sanfte Geburt ist nicht selbstverständlich planbar, ein Neugeborenes kann gehandicapt (auch behindert) sein
- die Geburtsvorbereitung als eine Tatsache sehen, und die Vorbereitung zum Stillen nicht vom Geburtsverlauf abhängig zu machen (viele dachten/denken? nach Kaiserschnitt oder bei Frühchen ist stillen nicht möglich)
- ein gesundes Kind zu haben als ein besonderes Glück zu empfinden; und dieses Glück nicht durch Unbesonnenheit und „falsche“ Vorstellungen zu riskieren; die Bedürfnisse des Babys wahrnehmen und nicht hinter den eigenen Bedürfnissen anzustellen („das bisschen Nikotin schadet doch bestimmt nicht“ – oder „ich sehe zwar dass mein Kind hungrig ist und zittert, aber ich will nicht zufüttern“
- einem kranken Kind wird durch das Sondieren/Füttern von Muttermilch eine entscheidende Hilfe zum Gesundwerden gegeben – abpumpen, abpumpen, abpumpen …
- frühzeitige Organisation von lieben Helfern, um bei der Entlassung aus dem KH nicht alleine da zu stehen
- und vor der Entlassung sollte der Kontakt zu einer Nachsorge-Hebamme zwecks Hausbesuch gelaufen sein; viele Hebammen sind auf Monate „ausgebucht“
Das sind alles meine persönlichen Erfahrungen, die ich als Schwester nach und nach gelernt, erfahren und beherzigt habe, und die mir natürlich im Wissen um das Stillen einen großen Vorsprung gegenüber Mit-Wöchnerinnen verschafften.
S.
Die Geburt musste nach 24 Stunden Wehen nach der vollständigen Eröffnungsphase aus kindlichen Gründen per Kaiserschnitt beendet werden. Mein Kind kam mit 4180 g gesund und wohlbehalten auf diese Welt.
Am Abend durfte/konnte ich ihn das erste Mal anlegen – was auch relativ schnell funktionierte. Ich hatte ausdrücklich erlaubt, je nach Zustand meines Babys Glucose oder Energiesupplement zuzufüttern. Mein Kind ging weiter problemlos an die Brust (so genannte Schlupfwarzen oder Flachwarzen). Ich war sehr schnell nach der OP mobilisiert (auch hier kam mir meine Erfahrung zu gute), spürte aber von Anfang an irgendetwas ist nicht in Ordnung. Meine Brustwarzen fingen dann urplötzlich das bluten an, trotz richtigem Anlegen (hier war ich schließlich Profi) und die wenige, aber wertvolle, erste Milch wurde des Blutes wegen komplett gespuckt. Bei mir setzte hohes Fieber ein, letztendlich hatte mich mein Gefühl nicht betrogen, ich hatte am dritten Tag eine völlig vereiterte OP-Naht. Zunächst wurde einige Tage „herum gedocktert“, ohne massiven Medikamenteneinsatzes (der Milchbildung wegen!). Ich legte mit zusammengebissenen Zähnen an, konnte mich ob des entzündenden Gewebes kaum rühren, und fütterte mein hungriges Baby zu.
Dann mussten massiv Medikamente eingesetzt werden. Ich konnte einige Tage keine Mumi an mein Kind füttern, zum Abpumpen war ich zeitweise nicht in der Lage. Mit meinem Kind lag ich isoliert – Ansteckungsgefahr für andere Wöchnerinnen. Ich hatte mich entschieden S. bleibt bei mir – auch wenn ich nicht anlegen kann so konnte ich ihn doch beobachten und selbst füttern. Sobald die Medikamente „raus“ waren, kam er wieder an die Brust. Problemlos. Regelmäßiges anlegen, das Spüren, jetzt geht es aufwärts, meine Lebensgeister kehrten wieder, und mein Körper fing an richtig Milch zu produzieren. 20 Tage nach der Entbindung ging ich nach Hause. Babynahrung hatte ich natürlich vorsorglich besorgen lassen. Eine Flasche bekam er zu Hause noch – ab Tag 22 habe ich bis in den 6. Monat ausschließlich gestillt.
Wir bekamen einen wunderbaren Rhythmus von 5 – 6 Stillmahlzeiten, bei gigantischen Gewichtszunahmen. Unsere Stillzeit war allerdings überschattet von Krankheiten, frühen fieberhaften Zahnattacken (jeder Zahn mit 40° Fieber ab der 10. LW) – und eine Begebenheit möchte ich hier erzählen.
Ich ging mit meinem Sohn, 4 Monate, zu einer homöopathisch arbeitenden Ärztin, in der Hoffnung sie könne uns mit ihren „Mittelchen“ weiterhelfen. Nachdem ich ihr vom Krankheitsverläufen erzählt hatte, war ihr erster Kommentar „wenn Sie stillen würden, hätten Sie sich und dem Kind viel Leid erspart“ ich fand es wohl, entgegen dem Verhalten anderer Mütter, nicht der Rede wert in meinen Ausführungen auf unser Stillen einzugehen. Packte meine Brust aus – drückte drauf und spritzte ihr meine Milch über den Schreibtisch entgegen. Ich hatte keine Worte mehr. (Sie versank vor Scham im Erdboden). Dieses Erlebnis hat meine Einstellung zur Stillberatung sehr geprägt. Ist dein Kind krank, bist du schuld weil du nicht stillst – denn gesunde Kinder sind natürlich Stillbabys – so mache ich mit der Angst der Leute eine schlechte Propaganda fürs Stillen und tue vielen Müttern bös Unrecht. Stillende und stillfreundliche Fachleute sollten es nicht nötig haben zu urteilen und zu verurteilen, wenn andere etwas anderes als richtig empfinden. Und Muttermilch ist toll – aber kein Allheilmittel. Sonst wäre sie eine Medizin und keine Nahrung.
Das Vertrauen in meinen Körper, und vor allem das Wissen dass viele Frauen stillen trotz Startproblemen, und auch meine Wille, mein Kind wird meinetwegen nicht hungern, hat mir eine wunderschöne, stressfreie Stillzeit beschert, und die vielen Krankheiten waren für unsere Entwicklung auch richtig und wichtig. Man wächst an seinen Aufgaben.
Ich schreibe diese Geschichte auch ein bisschen als Trost und Aufmunterung eben NICHT aufzugeben, bloß weil die Natur einen kleinen Umweg nimmt. Meine Brustwarzenprobleme begleiteten mich übrigens noch 6 Wochen. Es tat höllisch weh – aber ein bisschen muss man auch während der Stillzeit bereit sein auf sich zunehmen. Das Durchhalten hat sich gelohnt.
J.
Unser Dicker – von Geburt an. 4360 g brachte er mit, per geplanter Kaiserschnitt – was weitaus gemütlicher war für mich. Und dieses Mal ohne Folgekomplikationen.
Tja, unser J. Der sollte natürlich auch das Fläschchen in der Startphase kriegen. Die erste Nacht erdreistete ich mich doch tatsächlich ihn ins Kinderzimmer abschieben zu wollen – noch einmal schlafen – zumal ich ja voll verkabelt war. Das hatte ich mir so gedacht. Eine ehemalige Kollegin die zufällig Nachtdienst hatte, brachte ihn mir bereits am späten Abend wieder. Kommentar – der nimmt keine Flasche – guck wie du klar kommst (das kann man so unter ehemaligen Kollegen sagen). Ich habe ab diesem Tag, dem 16.7., keine Nacht mehr länger als zwei Stunden am Stück geschlafen. 5 Monate lang. Ab dann waren es 3 Stunden am Stück pro Nacht.
J. „fraß“ mich fast auf. Von Geburt an alle 2 Stunden rund um die Uhr. Am Anfang hat man ja noch die naive Hoffnung „bald wird es besser“. Nein, nein, nicht wenn man J. heißt. Er wurde dick und dicker, ich lernte im stehen zu schlafen, S. (gerade zwei Jahre) hatte glücklicherweise keine Eifersuchtsanwandlungen.
Ich will hier niemanden erschrecken. Bei allem Schlafmangel, ich würde es WIEDER tun. Wenn das Kind satt und zufrieden, kugelrund in seinem Bettchen liegt, die Mumi aus dem Mund tropft und ein engelsgleiches Lächeln rund um die Uhr einem entgegenstrahlt – was gibt es Schöneres auf Erden?
Mehr noch als bei S. hatte ich bei J. das Gefühl etwas ganz Besonderes „geleistet“ zu haben. Aus 4360 g wurden in 4 Monaten 8200 g durch reine Muttermilchernährung. Wenn man ihn ansah – ein Strahlekind, rund und glücklich.
Ich kann nur sagen, auch wenn dein Kind einen anstrengenden Rhythmus hat, häufig kommt zum Trinken, halte durch. Vorausgesetzt dein Kind nimmt zu, gibt es keinen Grund des Nachtschlafs wegen, zuzufüttern oder gar abzustillen. Die paar Monate sind, im Nachhinein gesehen, schnell vorbei. Und in der anstrengenden Phase nimm jede erdenkliche Hilfe an und lass Fünfe gerade sein. Ich dachte in den ersten 8 Wochen es wäre Zeit die Abstände zu strecken – Schnuller pfui Kuckuck – Tee schon gar nicht – ein Geschrei bis er an der Brust war. Nach einigen, wenigen Versuchen habe ich „klein“ beigegeben, mein Sohn hat unseren Rhythmus bestimmt – und es war gut so.
Die Beikost habe ich exakt so eingeführt nach den jeweiligen Bedürfnissen als meine Beiden jeweils im 6. Monat waren. Mit 7, knapp 8 Monaten stillte ich S. ab, J. wurde mit gut 10 Monaten abgestillt.
Macht zusammen 17 Monate Stillzeit – keinen Monat dieser Zeit wollte ich missen.
Im Leben mit Kindern gibt es viele kleine und größere Umwege, die wir gehen müssen, um daraus zu lernen. Unsere Kinder, von Geburt an kleine Persönlichkeiten, die mit uns kommunizieren und uns schon viel zu erzählen haben. Höre in dich hinein, damit du die Stimme aus dem Herzen deines Kindes hörst. Auch das Stillen ist ein Miteinander und Füreinander.
Ute – Mutter – Kinderkrankenschwester
Nachsatz: Beide Kinder waren als Babys richtig dick gestillt. J. wiegt mit 9 Jahren 27 kg und S. mit 11 Jahren 36 kg. Auf die Größe bezogen liegen beide in der Kurve zu leicht! Beide sind mittlerweile große, schlanke, junge Männer. Der Vegetariersohn misst nun 2 m.
Hallo Frau Hein, bei dem Bericht vom „Dicken“ musste ich schmunzeln. Klingt genauso wie mein „Dicker“. Er ist jetzt 5 Monate alt und weil nun die Milch nicht mehr satt genug macht, bekommt er Mittags Möhrenbrei und Mumi zum Durstlöschen, seit wir das so machen, ist alles von den Blähungen zum Schlafen deutlich besser geworden. Ja, stillen alle 2 Stunden ist unwahrscheinlich kraftraubend, aber wenn der Wonneproppen sich gut entwickelt und einem morgens (auch mal um 5) strahlend seine Ärmchen entgegenstreckt, ist es einfach jede „verlorene“Minute Schlaf wert. Lieben Gruss
Lieben Dank für die Rückmeldung. Knuddelgrüße an den Wonnenproppen 🙂
Ute